Wenn das Vertrauen bebt
Der Edelman Trust Barometer hat wieder einige erstaunliche zum Teil für Deutschland sehr bedenkliche Ergebnisse gebracht. So ist das Vertrauen hierzulande in die vier Institutionen Regierung, Wirtschaft, Medien und NGOs trotz einer leichten Stabilisierung immer noch auf einem niedrigen Level. Das Edelman Trust Barometer 2019 zeigt, dass Deutschland in Sachen Vertrauen mit 44% besorgniserregender Weise auf Platz 21 von 26 Ländern liegt. Hinzu kommt, dass die Vertrauenslücke zwischen der informierten Öffentlichkeit – sogenannten Eliten - und der breiten Öffentlichkeit mit 18 Punkten Unterschied noch nie größer war. Gleiches gilt für das Misstrauen von Frauen in Institutionen, das 10 und mehr Prozentpunkte unter dem der Männer liegt. Am Alarmierendsten aber ist das Vertrauen der Menschen in ihre eigene Zukunft, die nur einer von vier rosig sieht, und auch die Tatsache, dass nur 14 Prozent der Deutschen sagen, dass das System, in dem wir leben, für sie arbeitet. Daraus resultiert der Wunsch nach Veränderung den drei Viertel der Menschen in Deutschland hegen.
Trotz dieser Vertrauensbeben gibt es zwei Überraschungen, die Hoffnung machen: Einerseits das enorm große Vertrauen in den eigenen Arbeitgeber und andererseits der sprunghafte Anstieg des Vertrauens in die Unternehmenskanäle. Sind das die Pfeiler, die das Vertrauen der Menschen in das System stabilisieren können? Die Zahlen sprechen jedenfalls für sich: Der eigene Arbeitgeber liegt mit 73 Prozent weit über dem Vertrauensindex von 44 Punkten über alle anderen Institutionen hinweg. Und das Vertrauen der Deutschen in die unternehmenseigenen Kanäle steigt massiv auf 43 Prozent an.
Suche nach Antworten
Dieser sprunghafte Anstieg geht einher mit dem stark gestiegenen Vertrauen in Unternehmen generell und insbesondere in den eigenen Arbeitgeber. Es kommt also zu einer Lokalisierung von Vertrauen, in Zeiten, in denen die Menschen im System keine Antworten mehr finden. Und da ist die Sehnsucht nach Orientierung und verlässlichen Informationen groß.
Zahlenmäßig ist der Nachrichtenkonsum hierzulande um ganze 18 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, weltweit sogar um 22 Prozentpunkte. Ein enormer Sprung, der die Richtung für die Zukunft der Kommunikation weist. Unternehmen müssen erkennen, dass sich das Informationsbedürfnis und -verhalten der Menschen enorm verändert und dieser Wandel auch weiterhin stattfinden wird. Beim Blick auf die Medienlandschaft zeigt sich: Während die Menschen den traditionellen Medien viel Vertrauen schenken, sinkt die Glaubwürdigkeit von Social Media. Das Vertrauen in Facebook, Twitter und Co. liegt bei nur noch 32 Prozent, das in den Journalismus ist doppelt so hoch (69%).
Paradigmenwechsel: Unternehmen in der Pflicht
Es ist an den Unternehmen, die fehlenden Antworten zu liefern. Fakt ist: Die Rolle von Unternehmen verändert sich. Sie haben eine neue Pflicht. Von Websites oder Blogs über Corporate-Magazines, Geschäftsberichte, zu Corporate-TV: Die Erwartungen an die Unternehmen und ihre eigenen Medien sind groß und werden noch weiter steigen. Glaubwürdige Informationen und Botschaften, die zeigen, wo das Unternehmen gesellschaftlich steht und welche Werte diese leben, sind für Unternehmen und damit auch für die Menschen das neue Gold. Die gute Nachricht ist, dass viele Unternehmen hier in letzter Zeit qualitativ deutlich zugelegt haben.
Eines wird sichtbar: Die Menschen kompensieren Komplexität, indem sie Vertrauen in das Vertraute stecken. In das Nahe, in das Lokale. Und somit rücken Unternehmen stärker in den Fokus. Diese neue Pflicht müssen sich die Unternehmen und insbesondere auch Marketing- und Kommunikationsverantwortliche, unbedingt bewusst machen. So einfach es klingt, so sehr wird das auch ein Umdenken, einen Paradigmenwechsel, erfordern.
Der Paradigmenwechsel aber gipfelt in der klaren Forderung an Unternehmen und ihre CEOs, nicht nur dem Menschen die komplexer werdende Welt, die Notwendigkeiten der Veränderung oder die Bestimmung des Unternehmens zu erklären, sondern der Welt, den Institutionen, auch die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter verständlich zu machen. CEOs traut man dies zu und würden sie diese Erwartung erfüllen, sind Mitarbeiter im Gegenzug bereit, zu loyalen, engagierten und überzeugten Fürsprechern des Unternehmens zu werden. In Summe macht das in der Präferenz für einen Arbeitgeber auch einen Unterschied von 40 und mehr Prozentpunkten. Oder anders ausgedrückt: bares Geld.
CEOs haben Aufholbedarf
Dabei sind auch CEOs gefordert, sich nicht auf diesen Glaubwürdigkeitsvorschuss auszuruhen. Zwar vertrauen immer mehr Menschen in die Unternehmenslenker, trotzdem ist noch immer Luft nach oben. Denn während weltweit mehr als drei Viertel wollen und verlangen, dass CEOs die Führung innerhalb des Wandels zu übernehmen, stehen sie im unternehmensinternen Vertrauensranking nur im Mittelfeld. Für CEOs gibt es also noch Aufholbedarf. Dabei müssen sie vor allem mit Mitarbeitern und Marketingverantwortlichen an einem Strang ziehen, um das nächste Vertrauensbeben hierzulande zu vermeiden.
Den richtigen Absender im Unternehmen wählen
Damit Unternehmen diese Erwartung erfüllen können, liegt es zuletzt also auch an ihnen, Stimmen innerhalb der Organisation richtig einzusetzen. Nicht nur das Wo, sondern auch das Wer zählt. Also: Wer steht glaubwürdig für welche Themen? Wann spricht der Experte, wann der Mitarbeiter, wann der CEO? Nur so lässt sich der Vertrauensvorschuss einlösen. Ganz oben im Vertrauensranking steht hier „eine Person, wie Du und ich“, es folgt der Experte und auf Platz drei ein „normaler“ Mitarbeiter als glaubwürdigste Quelle. Laut dem 19. Edelman Trust Barometer sind letztere übrigens 20 Prozent vertrauenswürdiger als Journalisten. Kurzum: Unternehmen, die ihren Mitarbeitern eine Stimme geben, Antworten auf die drängenden gesellschaftlichen Fragen liefern und damit die Trendumkehr in Richtung mehr Vertrauen insgesamt lenken. Diese Unternehmen können so zu Demokratie-Pfeilern werden, wenn das Vertrauen bebt.
Übrigens, eine Analyse der Ergebnisse des Edelman Trust Barometers 2020 folgt in Kürze.
Ihr Ernst Primosch
Über den Autor:
© 2020 Mag. Ernst Primosch, ist CEO des Bureau of Communication, einer Kommunikations- und Markenschmiede in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er begann seine Karriere in der Markenartikelindustrie, war in führenden globalen Managementfunktionen bei einem Fortune Global 500 tätig, führte zwei der renommiertesten Beratungsunternehmen und positionierte Marken wie Henkel. Er lehrt an Universitäten und Hochschulen. Zuletzt publizierte er das Buch „Psychologie der Marke“.