Purpose - oder der Sinn des Unternehmertums


Als Martin Luther postulierte, dass sich die Zeiten ändern und wir uns mit ihnen, hatte er mit Sicherheit nicht die exponentielle Entwicklung unserer heutigen Zeit vor Augen. Wobei die Digitalisierung alleine die Situation nur unzureichend beschreibt. Aus Sicht der Markenführung und der damit einhergehenden Kommunikation haben die Veränderungen der letzten Jahre viele unserer Techniken und Erfahrungen hinweggefegt. Allein die Demokratisierung unserer Kommunikation war vor 20 Jahren unvorstellbar. Wer heute Kommunikation noch mit Journalismus gleichsetzt, lebt im falschen Jahrhundert. Doch für den Blick zurück ist keine Zeit, denn die einzige und überlebenswichtige Frage lautet jetzt: Wer und was ist für die Zukunft relevant?

Fast alles, was heute (noch) in der Kommunikation state-of-the-art ist, geht auf Strategien und Ansätze zurück, die in den letzten 100 Jahren entwickelt wurden. Doch eine glorreiche Vergangenheit ist in einer disruptiven Welt nur mehr ein schwaches Indiz für Zukunftsfähigkeit. Durch Disruption brechen derzeit ganze Wirtschaftszweige weg und so wie Eis durch die globale Erwärmung zu Wasser wird, werden Leistungen über Nacht zu Commodities, die nur mehr über den Preis verkauft werden können. Darum halte ich als CEO der Marken- und Kommunikationsberatung BoC mittlerweile nur mehr an einer Tradition fest, die da lautet: Als Consultants müssen wir schneller lernen als andere, wir müssen Thinktank sein und Wegbereiter für das, was uns und unsere Kunden heute und morgen erfolgreicher macht.

Schneller lernen als andere

Was haben wir in den letzten Jahre gelernt? Vor allem, dass die Entwicklung nicht mehr linear verläuft, sondern asymmetrisch, dass Technologie den Alltag beherrscht, dass Werte ebenso an Bedeutung verlieren wie strategische Partnerschaften und vieles mehr. So setzt sich etwa bei modernen Systemen in Unternehmen, Verbänden oder Institutionen eine neue holistische Betrachtungsweise ihres Unternehmenszwecks durch. Einher geht damit die Notwenigkeit einer Sinngebung, denn man weiß heute, dass die intrinsische Motivation von Mitarbeitern der vielleicht noch letzte zu hebende Goldschatz ist. Wahrscheinlich gilt dies auch noch für die Unternehmensmarken generell.

Die Sinnfrage wird relevant
Aktuell geht es um die Sinnfrage. Unzählige haben den Unsinn nachgeplappert, dass das Vorhandensein einer Vision die Notwendigkeit eines Arztbesuchs nach sich zieht. Milliarden Menschen aber greifen immer noch nach Produkten von Steve Jobs, der ständig vom „Why“ sprach, von dem Warum es sein und ein Unternehmen überhaupt gibt. Dabei ist sein „Why“ nichts anderes als eine unternehmerische Vision beziehungsweise ein „Purpose“. Nichts Anderes also als ein höherer Zweck oder der Beitrag eines Unternehmens zu einer besseren Welt ist. Drastisch ausgedrückt: Hat ein Unternehmen keinen „Purpose“ hat es streng genommen auch keine Existenzberechtigung. Einige Unternehmen haben das verstanden, andere arbeiten noch daran, wie etwa eine deutsche Bank, der mit dem Hashtag #PositiverBeitrag als Claim vorerst nur die Definition des Begriffs Purpose gelungen ist.

Kurz: Heute wissen wir, dass ohne „Purpose“ oder Vision keine Institution, keine Organisation und kein Unternehmen sein volles wirtschaftliches Potential ausschöpfen kann. Das allein mag schon schlimm klingen, schlimmer aber noch ist die Tatsache, dass im Zuge des Wertewandels immer mehr Menschen nach Arbeit suchen, aus der sie Sinn und Befriedigung schöpfen können. Marktanteile und Aktienkurse sind für die meisten Menschen ja nur schwach sinnstiftend. Bringt man das in Zusammenhang mit den leeren Arbeitsmärkten, wäre allein schon aus betriebswirtschaftlicher Logik heraus ein guter Purpose sinnvoll und notwendig.

Daten zu Wissen

Eine weitere Erkenntnis, die wir gewonnen haben, betrifft die Digitalisierung. Für den, den es schon in der Vergangenheit möglich war, Daten in Wissen zu transformieren, hatten Daten schon seit jeher einen Wert. Was sich nun ändert, ist die Qualität der Daten, die immer besser wird und die uns mit fast chirurgischer Präzession ermöglicht, Verhaltensveränderung herbeizuführen. Theoretisch könnte man damit heute schon einen EU-Politiker in Brüssel wesentlich effektiver ansprechen, als jeder Lobbyist dies kann. Theoretisch, denn auch wenn die Qualität der Daten immer besser wird, nimmt die Quantität der Daten, die Google, Facebook und Co. gerade versuchen zu Gold zu machen, noch schneller zu. Da werden auch keine Quantencomputer helfen, denn an Rechenleistung mangelt es nicht, wohl aber an Programmierern, die aus Daten Erkenntnisse ziehen können, die über das Anpreisen einer neuen Waschmaschine hinausgehen.

Zudem sitzen auch in Deutschland noch zu viele Unternehmen auf Bergen von ungenutzten und oft sehr wertvolleren Daten. Man denke nur an die Millionen von Events und Kundenveranstaltungen in Deutschland, die unglaubliche Menge an Daten liefern, die ungenutzt in irgendwelchen Excel-Daten vermodern, statt in wirtschaftlichen Erfolg, sprich stärkere Marken oder bessere Produkte, transformiert zu werden.

Kreativität, Kreativität und noch einmal Kreativität

Neben dem holistischen Einsatz von Purpose, der besseren Nutzung externer und interner Daten ist ein dritter ganz wesentlicher Erfolgsfaktor die Kreativität. Kreativität überrascht Menschen, lässt sie innerhalten und Dinge wahr- und aufnehmen. Kreativität ist der Schlüssel in die Herzen der Menschen und führt zu Verhaltensveränderung mit Botschaften, die nicht nur das Hirn erreichen, sondern Menschen leidenschaftlich machen und sie dazu bringen, sich für eine Sache einzusetzen. So entstehen die berühmten Markenbotschafter, Menschen wie Du und ich, aber viel glaubwürdiger als jedes Testimonial.

Eines der schönsten Beispiele für die Verbindung von Social Purpose, Daten und Kreativität wurde kürzlich bei den Cannes Lions ausgezeichnete. Die Ålandbanken ist eine kleine Bank auf einer zu Finnland gehörenden Inselgruppe in der Baltischen See, die ganz besonders unter Umweltbelastungen leidet. Der Bank gelang es, eine Verbindung zwischen Kaufverhalten und Einfluss auf die Umwelt herzustellen, in dem bei jedem Kauf, der mit einer Kreditkarte getätigt wird - und das ist in Skandinavien so gut wie jeder Einkauf - die CO2-Belastung der gekauften Produkte auf der monatlichen Rechnung ausgewiesen wird. So entstand der sogenannte Aland Index, der nach den beiden Prinzipen „Folge dem Geld“ und „Was gemessen wird, wird auch gemacht“ funktioniert und Konsumenten tatsächlich hilft, ihre Einkaufsmacht in Sachen Umwelt auszuspielen. Schon vor der Auszeichnung in Cannes haben sich viele Unternehmen wie die KPMG, MasterCard oder Thomson Reuters der Aktion angeschlossen und zum Erfolg des Projektes beigetragen, durch das sich die Markenbekanntheit de Ålandbanken 308% erhöhte, der Earned Global Media Reach bei 350 Millionen lag, die Einlagen der Bank um 30% und die Anzahl der Kontoeröffnungen um 4,4% stiegen.

Herausragend war auch die Valantine’s Kampagne von adidas im Vorjahr, die unter dem Slogan “The love you take is equal to the love you make“ auf Instagram. Dabei sah man nur zwei Paar sich gegenüberstehende Frauenbeine in Sportschuhen, wobei eine Frau auf den Zehenspitzen stand. Die Kampagne war die perfekte Symbiose von Social Purpose (Diversity), Kreativität (Bildsprache und Botschaft) und Social Media. Der Impact war phänomenal: ein um 360% höheres Engagement bei Instagram und einer Reichweite von einer Milliarde. Der internationalen Medienberichterstattung standen keine Medienausgaben gegenüber, keine bezahlten Markenbotschafter und keine klassische PR.

Beide Kampagnen zeigen das Ausmaß der Disruption im Marken- und Kommunikationsmanagement. Dabei steht die nächste Revolution schon vor der Türe: Die semantische Analyse, an der Google, IBM & Co. seit einiger Zeit arbeiten, wird uns in Kürze und in Echtzeit Image- und Reputationswerte von Menschen, Unternehmen oder Marken liefern, auf die wir ebenso schnell mit kommunikativen und kreativen Maßnahmen reagiert können, ja vielleicht sogar müssen. In Zukunft brauchen wir darum Kommunikationsmanager als Dirigenten. Managerinnen und Manager, die ein Orchester, dessen Notenblätter zeitgleich geschrieben werden, pausenlos dirigieren. Dann und nur dann werden sie zu den neuen Architekten unserer Welt.

Ihr Ernst Primosch

Über den Autor: 

© 2020 BoC - Mag. Ernst Primosch ist CEO des Bureau of Communication, einer Kommunikations- und Markenschmiede in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er begann seine Karriere in der Markenartikelindustrie, war in führenden globalen Managementfunktionen bei einem Fortune Global 500 tätig, führte zwei der renommiertesten Beratungsunternehmen und positionierte Marken wie Henkel. Er lehrt an Universitäten und Hochschulen. Zuletzt publizierte er das Buch „Psychologie der Marke“.

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