Corona: Ein Meteoriteneinschlag in Superzeitlupe

Wenn es in den letzten Wochen in der Geschäftswelt ein Thema gab, dass zu jeder Tageszeit und bei allen Gelegenheiten angesprochen werden konnte und wurde, so war das die Frage: Was wird sich nach Corona und durch die Pandemie verändern?

Die Antwort lautet unserer Meinung nach: Alles oder zumindest sehr viel wird sich verändern, aber nicht sofort. Covid-19 und die dadurch ausgelöste Pandemie verhalten sich wie ein Meteoriteneinschlag in Superzeitlupe. Abgesehen vom kurzfristig beschleunigtem Sterben schon länger siechender ”Unternehmen, bei denen die Seuche wie ein Brandbeschleuniger wirkt, werden die Veränderungen langfristig groß sein, aber eben sehr, sehr langsam. Und genau mit so langsamen Veränderungen tut sich der Mensch sehr jeher schwer, wie das Beispiel des Klimawandels zeigt.

Viele haben sich gerade am Anfang des Shutdowns berufen gefühlt eine neue Welt vorherzusagen, aber ein wirtschaftliches und gesellschaftliches System wie das unsere, das dicht verwoben mit gegenseitigen und globalen Abhängigkeiten ist, kann man nicht einfach abschalten. Denn über fast ein Jahrhundert haben Millionen von Menschen bestimmte Denk- und Handlungsweisen, die für das industrielle Zeitalter nützlich waren, erlernt und gelernt wie ihre primären Bedürfnisse befriedigt werden und wie sich der eigene Wohlstand vermehren lässt. Das müsste verlernt und kollektiv aufgegeben werden.

Was nun sprach Zeus

Mehr denn je gilt das Prinzip der Evolution, dass derjenige, der schneller lernt als seine Wettbewerber, sich an eine neue Umwelt anzupassen, die besseren Überlebenschancen hat. Die Frage, die sich daraus ergibt: Wie bereit ist ein System, eine Organisation überhaupt, sich zu verändern? Mitarbeiter wissen zwar, dass es ihre Karrierechancen in einer Organisation erhöht, wenn sie sich nach außen hin veränderungsbereit zeigen, doch die Wahrheit sieht anders aus. Denn der Mensch hat über Jahrtausende gelernt, dass Veränderungen immer mit Ungewissheit einhergehen. Und Ungewissheit bedeutet Risiko, bedeutet materielle oder körperliche Gefahr. Darum gilt auch in der Organisation, was die Technologie-Branche mit dem Leitsatz „never touch a running system“ zum Prinzip erhoben hat. Organisationen sind grundsätzlich nämlich nur im Hinblick auf Wachstum und Systemerhalt veränderungsbereit, nicht aber im Hinblick auf die Veränderung des gesamten Systems.

Wie also bringt man als CEO eine Organisation dazu, sich zu verändern, ohne ständig gegen die Grundsätze der Evolution kämpfen zu müssen. Angst und Zwang, wie sie als „Motivationstreiber“ immer noch gehandhabt werden, sind wohl die schlechteste Methode. Dazu lohnt ein Blick auf die Wissenschaft.

Das gebrochene Versprechen des Kapitalismus

Verhaltenswissenschaftlich zeigt sich, dass ein Drittel der Menschen in einem System in der Lage ist die restlichen zwei Drittel in die eine Richtung zu bewegen. Im Idealfall in die gewünschte Richtung. Sieht man von Gewaltanwendung mal ab, entsteht Veränderungsbereitschaft basierend auf einer intrinsischen Motivation jedoch nur mit einer starken Vision und einem guten, glaubwürdigen Narrativ. Dabei ist ein Slogan, ein Schlachtruf, ebenso wenig eine Vision wie Umsatzsteigerung oder ein höherer Aktienkurs: Letzterer mag ein Ziel sein, das man gerne erreichen möchte, aber am Ende ist es immer ein Ziel und „nur“ der finanzielle Ausdruck erfolgreicher Arbeit. Aber keine Vision.

Eine Vision zu entwickeln, ist für viele Unternehmen scheinbar ebenso schwierig, wie die Definition einer grundlegenden Erklärung für ihr unternehmerisches Handeln, auch Purpose genannt.

Dabei ist Purpose nicht mehr und nicht weniger als eine Rückbesinnung auf die anfänglichen Versprechen des Kapitalismus. Purpose ist die Frage nach dem gesellschaftlichen Mehrwert, den ein Unternehmen schaffen möchte. Viele Organisationen können darauf keine vernünftige Antwort geben und das ist schade, denn ohne die Schaffung von gesellschaftlichem Mehrwert, hat eine Organisation eigentlich keine Existenzberechtigung. Darüber hinaus: Wer will schon bei einem Unternehmen arbeiten, dass außer einer Kapitalrendite keinen weiteren Nutzen stiftet. Das wird einigen Anhängern von Milton Friedman nicht gefallen, vor allem dann nicht, wenn man ihnen klar macht, dass erst der ausschließliche Fokus auf den freien Markt das kapitalistische System krank gemacht hat. Aber dazu später. Selbst in Harvard hört man mittlerweile Stimmen, die auf das gebrochene Versprechen des Kapitalismus hinweisen, dass ehedem lautete, dass alle Menschen vom  Kapitalismus profitieren werden und alle Marktteilnehmer eine Platz am Tisch und eine Stimme haben werden, die gehört wird.

Purpose ist eine Form sich auf diese Versprechen wieder zu besinnen, vor allem, da auch Milton Friedmans Satz „The purpose of business is business.“ nicht ausschließt, ja geradezu verlangt, das Unternehmen sich gesellschaftlich so verhalten, dass sie die Nachhaltigkeit ihres Tuns beachten. Nur so erhalten sie ihre „license to operate“.

Die Rückkehr des Primats der Politik

Aber kommen wir zurück, auf die Frage, wie sich Unternehmen auf die Veränderung durch den Meteoriteneinschlag in Superzeitlupe vorbereiten können. Zum einen ist da die Fähigkeit, schneller zu lernen als die Konkurrenz. Zum anderen der Purpose und als nächste Komponente die Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wieder stärker von der Politik bestimmt werden.

Der Grund dafür ist profan: Die Politik hat in der Krise wieder Geschmack am Regieren gefunden. Es ist darum zu erwarten, dass sie das Heft des Handelns wieder stärker in die Hand nehmen und dem Kapitalismus das notwendige Regelwerk verpassen wird. Nicht unwahrscheinlich, dass zum ersten Mal in der Geschichte auch so etwas wie ein internationaler Gerichtshof für Unternehmen entstehen wird, um diese für etwaiges globales Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen. Das heißt: Nachhaltigkeit wird mehr denn je Profitmaximierung schlagen.

Ein evolutionäre Struktur entsteht

Ein Aspekt der Nachhaltigkeit ist wie wir mit Ressourcen umgehen und Infrastruktur nutzen. Ein ganz wesentlicher Kostenfaktor in vielen Unternehmen sind die Infrastrukturkosten und nicht umsonst hatten gerade internationale Beratungen ein scharfes Auge darauf. Im Schnitt wurden jedem Mitarbeiter 10 bis 12 qm an Bürofläche genehmigt, darin eingeschlossen sind auch Konferenzräume sowie Sanitär- und Sozialbereiche.

In der Pandemie jedoch standen die Büros leer und trotzdem funktionierten viele Unternehmen, sodass sich jede Organisation zu fragen beginnt, wie viele Menschen man tatsächlich an einem Ort benötigt und wie viele materielle Ressourcen. Einige haben die Antwort schon gefunden und wie es aussieht werden viele Mitarbeiter zwar weiterhin einen Job haben, aber nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Parallel zu dieser neuen Zusammenarbeit müssen aber neue Systeme entstehen, die Vereinsamung, soziale Isolation und Selbstausbeutung genauso verhindern, wie Nutzenoptimierer, die die neue Freiheit ausnützen. Es wird eine neue Form der Kommunikation und Dokumentation von Leistung geben und Tools wie Slack oder Teams sind perfekt darauf zugeschnitten. Dort gibt es selbst informelle Meetingräume, die den Kaffeeautomaten ersetzen sollen. Ziele müssen klar und messbar definiert werden um nachhaltige Ergebnisse zu erreichen. Teamarbeit wird sich ändern und dafür bedarf es neuer Regeln für Remote Work. Darüber hinaus gilt es die Einarbeitung neuer Mitarbeiter auf neue Beine zu stellen, denn was bisher in vielen Unternehmen informell passiert ist, muss jetzt bis zu einem gewissen Grade formalisiert werden. Es wird auch eines bedeuten: mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit für den einzelnen Mitarbeiter. Das erfordert ein neues Denken und Handeln für Führung und Mitarbeiter. All das braucht mehr Kommunikation. Dafür erhält man aber eine agile Organisation in der unnötige Kosten vermieden werden und die nachhaltiger ausgerichtet ist.

AI angstfrei begegnen

Organisationen und vor allem Betriebsräte müssen endlich lernen ihre Angst vor Artificial Intelligence (AI) abzubauen. Wer sich grundsätzlich dagegen stellt, gefährdet die Weiterentwicklung einer Organisation. Dabei ist AI in den meisten Fällen wesentlich weniger intelligent als gemeinhin angenommen wird, sie basiert immer noch auf den Annahmen und den Denkvorstellungen derer, die sie programmieren. Richtig und mit Menschenverstand angewandt hilft AI die besseren Mitarbeiter zu finden, Informationen in Echtzeit für den Kunden besser zu nutzen und Betriebsprozesse zu optimieren. Das verlangt aber auch nach einer besseren Kommunikation und einem Diskurs über die Chancen und Risiken, damit relevante Stakeholder ihre Vorurteile gegen AI abbauen.

Das Innehalten ritualisieren

Und zuletzt sollten Organisationen das Innehalten ritualisieren. Die erzwungene Pause in der Pandemie war zum Glück für viele keine Denkpause, sondern eher das Gegenteil. Die ansonsten Getriebenen hatten endlich mal die Gelegenheit über ihr Tun nachzudenken und was sie darüber erzählten, lässt aufhorchen. Viele auch im Top-Management haben sich drei wichtige Fragen gestellt: Wer bin ich? Wer sind die anderen? Und was mache ich eigentlich (hier)? Es gibt viele, bei denen die Antworten darauf einen heilsamen Schock ausgelöst hatten. Darum sollten wir das Innehalten ritualisieren. Es heilt und macht uns besser, weil wir bewusster leben und arbeiten. Es unterstützt uns darin, einerseits mit Unsicherheit und Komplexität besser umzugehen und andererseits vorauszudenken und die eigene Zukunft zu gestalten.  

All das sind nur einige der Veränderungen, die wir als Unternehmensberatung auf unser Kunden und uns zukommen sehen. Veränderung, die auch viel Positives mit sich bringen werden. Mehr dazu aber in einem unserer nächsten Beiträge.

Ihr Ernst Primosch

Über den Autor: 

© 2020 BoC - Mag. Ernst Primosch ist CEO des Bureau of Communication, einer Kommunikations- und Markenschmiede in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er begann seine Karriere in der Markenartikelindustrie, war in führenden globalen Managementfunktionen bei einem Fortune Global 500 tätig, führte zwei der renommiertesten Beratungsunternehmen und positionierte Marken wie Henkel. Er lehrt an Universitäten und Hochschulen. Zuletzt publizierte er das Buch „Psychologie der Marke“.

 

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